Begleitend zum Beitrag in der Südostschweiz vom 24.5.2018. Blog als PDF runterladen.
Wie geschlossen stimmen die Grossratsmitglieder im Laufe einer Legislatur ab? Mit der Publikation der einzelnen Abstimmungsentscheidungen hat der Kanton Graubünden ermöglicht, dass die Stimmberechtigten herausfinden, was ihre VertreterInnen im Grossen Rat machen. Ein interessanter Aspekt der Analyse ist die Disziplin innerhalb von Parteien oder Fraktionen. Parteien haben eine gemeinsame Ideologie oder Wertehaltung und so koordinieren sich Politikerinnen und Politiker derselben Partei in Parlamenten oft. In der Realität der Parlamentsarbeit mit detaillierten Vorlagen können nicht alle Grossratsmitglieder ExpertInnen für alle Themen sein, und so dienen Fraktionen auch zur gegenseitigen Unterstützung. Die Fraktionsdisziplin ist ein Ausdruck dieser Koordination: je geschlossener eine Partei oder Fraktion stimmt, desto stärker koordinieren sich die Ratsmitglieder. Je nach Parteiagenda kann eine besonders geschlossene Fraktion oder eine stärkere Freiheit der einzelnen Mitglieder auch bewusst sein, so gab es in den letzten Jahren Bestrebungen im Nationalrat, die Fraktionsdisziplin namentlich bei der SVP und der CVP zu erhöhen. Die Fraktionsdisziplin im Bündner Grossen Rat wird in Grafik 1 auf der linken Seite dargestellt, gleichzeitig sind Daten für den Nationalrat von 2003 bis 2017 ausgewertet worden und auf der rechten Seite dargestellt, um einen Vergleich mit dem nationalen Parlament herstellen zu können
Grafik 1
In der Grafik sind für beide Parlamente jeweils die Werte des «Agreement Index»((Siehe Schwarz 2009.)) (AI) abgetragen. Der AI-Wert berücksichtigt nicht nur Ja- und Nein-Stimmen für eine Berechnung der Geschlossenheit einer Fraktion, sondern auch Enthaltungen. Umgeht eine Person die Fraktionsmeinung indem sie sich enthält anstatt gegen die Fraktion zu stimmen, so wird diese Enthaltung ebenfalls als Abweichung gewertet.
Erstaunlicherweise zeigt sich für die letzten drei Jahre im Grossen Rat eine hohe Fraktionsdisziplin im Vergleich zum Nationalrat. Die Zahlen schwanken zwar sowohl für den Grossen Rat wie auch für den Nationalrat. Die Werte der zwei grossen Parteien CVP und FDP sind aber konsistent hoch und fast durchgehend höher als die Werte derselben Parteien im Nationalrat, welche dort als weniger stark geschlossen gelten als beispielsweise die Polparteien SP und SVP. Die SP ist in den drei beobachteten Jahren konsistent geschlossener als auf nationaler Ebene, die SVP Graubünden folgt mit der zweithöchsten Disziplin mit Werten welche den nationalen Werten in nichts nachstehen. Insbesondere zeigt sich für den Nationalrat durch den Rückblick bis 2003 ein starker Anstieg bei der SVP für die Legislatur nach der Wahl von Eveline Widmer-Schlumpf statt Christoph Blocher puttygen , die Werte für 2016 bis 2018 für die SVP Graubünden sind aber wiederum höher als in dieser neuen Ära der SVP Schweiz. Anders ist das Bild einzig bei der BDP, welche auf nationaler Ebene (dank deutlich kleinerer Fraktion) geschlossener Auftritt als im Kanton Graubünden, wo sie die tiefste Fraktionsdisziplin aufweist.
Erstaunlicherweise zeigt sich somit im Majorzparlament Graubünden eine stärkere Fraktionsdisziplin als im Nationalrat, welcher nach Proporz gewählt wird. Durch die Polarisierung auf nationaler Ebene wird die Politik im Nationalrat als besonders konfliktreich betrachtet, die Fraktionen sind viel geschlossener also noch vor 15 Jahren, und dadurch sind Kompromisslösungen schwieriger geworden. Der Nationalrat zeigt somit ein klares Muster einer Dominanz der Parteien: man stellt nicht einzelne Köpfe oder vielfältige Meinungen in den Vordergrund, sondern gemeinsame politische Positionen, für welche die Parteien mehr oder weniger stark gemeinsam einstehen.
Im Kontrast wäre der Kanton Graubünden, welcher mehrmals den Wechsel zu einem Proporzsystem mit der Begründung abgelehnt hat, dass die Wahllogik von Personen oder «Köpfen» wichtiger sei als die Ideologie einer Person. Die Majorz-Wahlen sind aber in der politischen Realität des Parlaments nicht mehr ersichtlich, vielmehr dominieren auch hier die Parteien die Debatte und das Abstimmungsverhalten. Dies geht sogar so weit, dass die Fraktionsdisziplin in grossen Parteien wie der FDP und der CVP geschlossener ist als auf nationaler Ebene.